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Ohrfeige für Marathon-Asse

World Athletics bootet zehn Läufer vor Olympia-Marathon aus

Für zehn internationale Topläufer ist der Traum des Marathon-Olympiastarts auf fragwürdige Weise geplatzt. Betroffen ist der Männer-Marathon, der bei den Spielen in Paris für den 10. August geplant ist. World Athletics hat kurzfristig zehn Olympiastartplätze nicht über die Weltrangliste vergeben, sondern über sogenannte „Universality-Plätze“.

Damit müssen Weltklasseläufer zu Hause bleiben, die auf den Plätzen 71 bis 80 des „Road to Paris“-Rankings gelegen sind und aufgrund der kommunizierten Regeln mit einem Olympiastart rechnen konnten. Dafür werden in Paris Athleten am Start sein, die noch nicht einmal einen Halbmarathon gelaufen sind oder Marathonbestzeiten von 2:18 Stunden aufweisen.

Leistungen & Planungen der Läufer werden ignoriert

Ein Läufer wie Österreichs Andreas Vojta kann im Nachhinein fast froh sein, dass er bei seinem Antreten im April in Linz keine Spitzenleistung erzielt hat, die in Verbindung mit den Punkten vom Staatsmeisterschaftssieg einen Sprung nach vorne in der Weltrangliste bedeutet hätte. Er wäre vom Weltverband nicht berücksichtigt worden.

Hintergrund ist das eher undurchsichtige Qualifikationssystem von World Athletics (WA), das zudem äußerst schlecht kommuniziert wurde. 80 Startplätze standen laut Planung von WA für Männer und Frauen in Paris jeweils zur Verfügung. Vorrang hatte bei der Qualifikation zunächst das Erreichen der direkten Qualifikationszeiten: 2:08:10 Stunden bei den Männern und 2:26:50 bei den Frauen. Verbliebene Plätze sollten nach Ende des Qualifikations-Zeitraumes Anfang Mai über die Weltrangliste vergeben werden. Viele Läufer, die nur geringe Chancen auf das direkte Limit sahen, haben ihre Planungen auf diese Möglichkeit ausgerichtet.

World Athletics gibt keine Antworten

Als im Laufe des Frühjahres klar war, dass sich mehr als 80 Läuferinnen über die gelaufene Zeit für die Spiele qualifizieren würden, gab es von World Athletics trotz mehrfacher Nachfragen von Race-News-Service keine Antwort auf die Frage, ob nun tatsächlich auch über 80 Athletinnen starten dürfen und alle mit der Norm auch startberechtigt sein würden. Inzwischen ist auf der Webseite von World Athletics entsprechend markiert, dass dem so ist.

Österreichs Rekordhalterin Julia Mayer ist von dem Durcheinander somit glücklicherweise nicht betroffen. Ihre Bestleistung von 2:26:43 Stunden aus Valencia 2023 liegt sieben Sekunden unter der Qualifikationsmarke. Sie ist fix für Paris qualifiziert, obwohl sie im Qualifikationsranking auf Rang 87 liegt.

Eine klare Antwort gab es vom Weltverband Anfang April jedoch bezüglich des Männer-Marathons, bei dem am Ende 70 Läufer die Normzeit unterboten: Die noch offenen Plätze würden über die Weltrangliste vergeben, hieß es.

Doch gut einen Monat später gilt das plötzlich nicht mehr. Zehn Athleten, die davon ausgehen konnten, dass sie aufgrund der Weltranglisten-Position in Paris starten würden, sind nun bei WA als nicht qualifiziert markiert. Auf eine Bitte um eine Stellungnahme zu dieser Entwicklung hat World Athletics bisher nicht geantwortet.

Petition an World Athletics läuft

Statt jener zehn Athleten, die sich sportlich qualifiziert hatten, hat World Athletics die Startplätze nun sogenannten „universality places“ zugeordnet. Während der Verband bei den Männern strikt die 80 Startplätze einhält (das IOC hatte die Gesamt-Teilnehmerzahl in der Leichtathletik reduziert), werden aber im Frauen-Rennen 95 Athletinnen starten. 88 qualifizierten sich über die gelaufene Zeit und sieben weitere gehören zu den „universality places“. Einen „Universality“-Startplatz können Nationen erhalten, die in den olympischen Leichtathletik-Wettbewerben entweder keinen Mann oder keine Frau am Start haben. Sie müssen dann wählen zwischen den 100 m, den 800 m und dem Marathon. Wie unter anderen die US-Internetseite „letsrun.com“ berichtet, gab World Athletics den „universality places“ Priorität gegenüber den über die Weltrangliste qualifizierten Athleten.

In Australien, wo Liam Adams betroffen ist, wurde eine Petition gestartet, um World Athletics zum Umdenken aufzufordern. 

Diese Läufer waren – vermeintlich – über die Weltrangliste für den Olympiamarathon qualifiziert. 
Angegeben sind ihre besten Leistungen im Qualifikationszeitraum:

•    Hugo CATRILEO [Chile] – 2:08:44, 2:12:07
•    Elroy GELANT [Südafrika] – 2:08:56, 2:09:32
•    Leonard KORIR [USA] – 2:09:31, 2:09:57
•    Liam ADAMS [Australien] – 2:08:39, 2:11:47
•    Samuel Tsegay TESFAMARIAM [Schweden] – 2:08:41, 2:09:47
•    Abdi Ali GELELCHU [Bahrain] – 2:08:22, 2:09:11
•    Ilham Tanui ÖZBILEN [Türkei] – 2:08:59, 2:10:16
•    Tachlowini GABRIYESOS [Athlete Refugee team] – 2:09:00, 2:09:07
•    Abraham CHEROBEN [Bahrain] – 2:09:20, 60:20 Halbmarathon
•    Ser-Od BAT-OCHIR [Mongolei] – 2:10:10, 2:10:11. Es wäre seine 6. Olympiateilnahme gewesen.

Folgende Läufer wurden von World Athletics auf Basis von „Universality Places“ für den Olympiamarathon nominiert. Angegeben sind jeweils die Bestzeiten im Qualifikationszeitraum.

•    Dario Ivanovski [Nordmazedonien] - 2:08:26 (2024 Seville)
•    Il Ryong Han [Nordkorea] - 2:09:42 (2024 Wuxi)
•    Amine Khadiri [Zypern] - 2:10:20 (2023 Seville)
•    Samuel Freire [Kapverde] - 2:11:01 (2024 Seville)
•    Cristhian Zamora [Uruguay] - 2:11:02 (2023 Seville)
•    Jordan Gusman [Malta] - 2:13:13 (2023 Chicago)
•    Ilya Tyapkin [Kirgisistan] - 2:17:05 (2024 Hannover)
•    Eduardo Terrance Garcia - [Virgin Islands] - 2:17:09 (2023 McKirdy Micro)
•    Valentin Betoudji [Chad] - 2:18:20 (2023 Valencia)
•    Moath Alkhawaldeh [Jordanien] - 2:21:17 (2023 Berlin)
•    Yaseen Abdalla [Sudan] - Kein Marathon- oder Halbmarathonresultat

Warum werden diese zehn Läufer nicht zusätzlich zu den 80 angekündigten Marathonstartplätzen eingeladen? 

Durch Vergabe dieser zusätzlichen Startplätze erreicht World Athletics eine stärkere Internationalität bei der olympischen Leichtathletik, mit der der Welt-Verband wiederum auch wirbt. Es gibt in der Tat nur ganz wenige Sportarten, die bei großen globalen Meisterschaften Teilnehmer aus derart vielen Nationen vorweisen können.

Im Fall des olympischen Männer-Marathons ist für World Athletics nun offenbar die Globalität wichtiger als die Leistung. Für die zehn Läufer, die vermeintlich alle Voraussetzungen für eine Olympiateilnahme erbracht hatten, muss es jedoch wie eine Ohrfeige wirken.

VCM News. Text: Jörg Wenig, Andreas Maier / Race News Service