Ein Marathon in 1:59:40,2 Stunden: Eliud Kipchoge verwandelte 2019 die Prater Hauptallee in ein Meer der Emotionen. Warst du dabei?
Am 12. Oktober 2022 feiern wir am Jahrestag den 3. VCM Tribute to Eliud.
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Lauf des Jahrhunderts
Der erste Marathon unter zwei Stunden: Es war ein Lauf in die Geschichtsbücher und in die Herzen von Millionen Menschen. Eliud Kipchoge schaffte am 12. Oktober 2019 diesen historischen Durchbruch.
Nach 1:59:40,2 Stunden war die Sensation perfekt. Die Sportwelt feierte eine bis dahin unvorstellbare Leistung. Wien bot ideale Bedingungen. Die Prater Hauptallee, die mittlerweile ins Welterbe der Leichtathletik aufgenommen wurde, verwandelte sich zu einem Meer der Emotionen.
Samstag, 12. Oktober 2019 in Wien
Eliud Kipchoge macht sich an das tollkühne Unternehmen, als erster Mensch die 2-Stunden-Marke im Marathon zu unterbieten. Der Start auf der Reichsbrücke liegt mystisch im Nebel. Um 8:15 Uhr läuft der Olympiasieger aus Kenia los. Begleitet wird er von mehreren Weltklasseläufern, die sich einer exakten Dramaturgie folgend immer in Teams von sieben Personen um ihn gruppieren. Insgesamt 41 Athleten stellen sich in den Dienst dieses Projekts. Ihre Formation war in Windkanaltests entwickelt worden, um perfekte aerodynamische Verhältnisse herzustellen. Ein Laserstrahl aus einem fahrenden E-Auto, das sich präzis in der vorgegebenen Geschwindigkeit bewegt, zeichnet ihnen die Positionen auf die Prater Hauptallee. Die Gruppe läuft stets innerhalb der orangen Linien. Fünf Läufer in V-Form vorne, zwei hinten. Im Zentrum des Geschehens ist immer der Athlet im weißen Trikot: Eliud Kipchoge.
Unvergessliche Atmosphäre auf der Hauptallee
Die Fans drängen sich seit 6 Uhr früh entlang der Strecke, insgesamt 120.000 Menschen. In die DNA dieses Events ist das Wort „Optimierung“ eingebrannt. Die Hauptallee hatte auf 1,2 Kilometer Länge einen neuen Asphalt erhalten. Beim Lusthaus war temporär eine Rampe mit einer Neigung von einem Prozent errichtet worden, um die Fliehkräfte bei den Umrundungen zu reduzieren. Rechnerisch soll dies 12 Sekunden ersparen. Kipchoge läuft mit 21,1 km/h – versuche das auf dem Fahrrad. 100 Meter legt er 422 Mal in Folge in 17,02 Sekunden zurück – für die meisten ein Sprint. Bei den Beat Eliud-Markierungen auf der Hauptallee kannst du versuchen, ob du es schaffst. Jeden einzelnen Kilometer absolviert er in durchschnittlich 2:50,17 Minuten.
Wo bitte ist noch Platz zum Zuschauen?
Der Mann in hellen Shorts klammert sich schon minutenlang an das „Vorrang geben“-Schild, auf das er hochgeklettert ist. Jetzt heißt es durchhalten, denn der große Moment naht. Ein Marathon unter zwei Stunden: Was als undenkbar galt, passiert jetzt. „This is history unfolding on the streets of Vienna this morning“, sagt Live-Kommentator Chris Dennis hörbar erregt. Auf den großen Videoscreens sehen zehntausende Augenpaare, wie Eliud Kipchoge mit knappen Armbewegungen seine Pacemaker zur Seite dirigiert und alleine an die Spitze läuft. Ein WOOOW geht durch die Menge.
Schätzungen sprechen von 120.000 Menschen in der Prater Hauptallee. Fünf Millionen schauen alleine auf dem offiziellen YouTube Kanal des Events zu. 30 TV-Stationen in 200 Territorien zeigen das Rennen live, darunter in Österreich der ORF. Kipchoge ist vom Ziel aus bereits mit freiem Auge zu sehen. Er stürmt die lange Gerade heran. „Listen at the noise!“, ruft Dennis ins Mikro.
Sensation ist perfekt
Der 34-jährige Kenianer wird auf den letzten seiner 22.000 Schritte immer noch schneller. Er schlägt sich auf die Brust. Mit ausgestreckten Armen zeigt er ins Publikum. Nach 1:59:40,2 Stunden durchläuft er den pinken LED-Zielaufbau. Es ist Samstag, 12. Oktober 2019, und Eliud Kipchoge hat als erster Mensch die 2-Stunden-Barriere im Marathon unterboten. Die Begeisterung übersprang alle Grenzen.
Die Prater Hauptallee, nunmehr die schnellste Marathonstrecke der Welt, war von einem internationalen Projektteam ausgewählt worden. London, Berlin und weitere Orte in Deutschland und Frankreich waren nicht zum Zug gekommen. Die völlig flache, windgeschützte Strecke bot ideale Bedingungen. Ausschlaggebend für den Zuschlag waren zudem die Lage in unmittelbarer Stadtnähe, die Organisationskraft des Vienna City Marathon (VCM) Teams und die Unterstützung der Stadt von Bürgermeister Michael Ludwig abwärts. „This is the place“, hieß es im Juni 2019. Ab diesem Zeitpunkt standen nur gut drei Sommermonate für die Umsetzung zur Verfügung.
Internationales Team
Initiator und Geldgeber war das britische Chemieunternehmen INEOS, das auch im Radsport und im Segeln präsent ist. Die Performance-Experten von INEOS arbeiteten mit dem London Marathon, den niederländischen Laufsportprofis von Global Sports Communications und dem Vienna City Marathon zusammen. Das Wiener Team um Veranstalter Wolfgang Konrad und den damaligen Organisationsleiter Gerhard Wehr war für alle Bereiche der lokale Ansprechpartner. Sie brachten das Großprojekt auf den Boden. INEOS-Eigentümer Jim Ratcliffe, einer der reichsten Briten, der steuersparend in Monaco lebt und dessen Fabriken oft mit Umweltauflagen in Konflikt gerieten, ist nicht unumstritten. Sein Sport-Fanatismus ermöglichte jedoch die „INEOS 1:59 Challenge“, das Rennen von Eliud Kipchoge in Wien.
Die Hauptperson lief körperlich und mental in Höchstform. Dafür erhielt er das beste vorstellbare Setting. Helferinnen und Helfer haben sogar einzelne Blätter und Kastanien von der Hauptallee mit Besen zur Seite gekehrt. Eine aufwändige TV-Live Produktion brachte grandiose Bilder in die Welt. Parallel dazu erstellte ein Team von Ridley Scott Productions die Filmdoku „Kipchoge: The Last Milestone“.
Neue Maßstäbe & Begeisterung
Die Veranstaltung setzte neue Maßstäbe in Sachen Sport, Vorbereitung und Inszenierung. „Performance“ stand überall an erster Stelle. Eliud Kipchoge erzielte dabei keinen offiziellen Weltrekord; diesen hält er mit 2:01:39 Stunden. Die wechselnden Tempomacher, nur ein einziger Teilnehmer und die Getränkeaufnahme an beliebigen Punkten der Strecke entsprachen nicht den Regeln. Das war mit Projektstart bereits klar. Doch Kipchoge ist die 1:59:40,2 Stunden tatsächlich gelaufen. Als es gelungen ist, umarmte er im Ziel zuerst seine Frau Grace, dann seinen Trainer Patrick Sang, dann seine Pacemaker, dann die ganze Welt.
Die Welt feiert
In Nairobi kam an mehreren Orten der Verkehr zum Erliegen, weil die Menschen auf den Straßen tanzten. Barack Obama setzte in Chicago einen Glückwunsch-Tweet ab. Bis zu zwei Milliarden Menschen haben Berichte über den Lauf gesehen. „Eliud Kipchoge erfindet den Marathon neu“, schrieb L’Équipe. „In Wien wurde Geschichte geschrieben“, so die Gazzetta dello Sport. Der Leichtathletik-Weltverband, Hüter der offiziellen Weltrekorde, bezeichnete den 1:59-Marathon von Kipchoge als „einen der größten bahnbrechenden Meilensteine der Leichtathletik-Geschichte.“
Unvergesslicher Tag
Das Magazin „Outside“ rückte Kipchoges Vorstellung in den Bereich der Kunst: „Was wir in Wien erlebt haben, war kein Wettrennen, sondern etwas im Sinne einer extremen Performance-Kunst, bei der der Protagonist nur einen Versuch hat, etwas zu machen, was noch nie zuvor gemacht wurde.“
Keiner der Zeit-Zeugen wird diesen bahnbrechenden Lauf vergessen. „Die Zuschauer haben mir beim Lauf sehr geholfen. Es waren so viele Menschen aus der ganzen Welt hier, eine unglaubliche Stimmung“, bedankte sich Kipchoge bei den Fans. Sie nahmen Fotos, Videos und Souvenirs mit nach Hause. Manch Werbebande wechselte ihren Ort. Erinnerungen als Inspiration.
„Ich denke täglich an Wien“, sagte Eliud Kipchoge in einem Interview noch mehr als zwei Jahre nach dem bahnbrechenden Rennen, wie der Leichtathletik-Experte Olaf Brockmann berichtete. Die Laufgeschichte der Prater Hauptallee ist dank dieses Rennens um ein unglaubliches Kapitel reicher geworden. Irgendwann wird die 2-Stunden-Marke unter offiziellen Bedingungen fallen. Wer weiß, vielleicht wieder in Wien? Man darf träumen. Fix ist, dass Wien auf immer mit dem ersten Marathon unter zwei Stunden verbunden bleibt.
VCM News / Andreas Maier. Der Artikel ist im April 2022 in der Magazinreihe „Welterfolg Wien“ des Echo Medienhauses anlässlich der Verleihung der World Athletics Heritage Plaque für die Prater Hauptallee erschienen und wurde für diese Online-Version geringfügig bearbeitet. Alle Rechte vorbehalten.