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Erstmals 2:59

Vor 100 Jahren lief Otto Pensl als erster Österreicher einen Marathon unter drei Stunden. 1945 wurde er im KZ Mauthausen ermordet.

Ein Marathon unter drei Stunden: Für viele Hobbyläufer*innen ist diese Barriere das Ziel der Träume - großer Jubel und Freudentränen inklusive, wenn es geschafft ist.  

Vor genau 100 Jahren, am 27. September 1925, knackte erstmals ein österreichischer Läufer diese Marke. Otto Pensl erzielte in Wien die damalige nationale Rekordzeit von 2:59:21 Stunden.

Dieser Lauf und das Leben von Otto Pensl sind nicht nur in sportlicher Hinsicht ein Teil der österreichischen Geschichte, der nicht vergessen werden darf. Der Oberösterreicher aus Steyr wurde 20 Jahre später ein Opfer des NS-Regimes und ist kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs als einer der letzten Gefangenen in der Gaskammer des KZ Mauthausen am 28. April 1945 getötet worden.

„Wir wollen die läuferische Pionierleistung von Otto Pensl in Erinnerung rufen und als Inspiration und Motivation feiern. Das ist nur gemeinsam mit der Erinnerung an seine Ermordung unter dem NS-Regime möglich“, so Kathrin Widu und Dominik Konrad, Geschäftsführer des Vienna City Marathon.

„Otto Pensl war ein außergewöhnlicher Sportler und ein mutiger Kritiker des NS-Regimes. Sein Leben steht für Courage, Engagement und Menschlichkeit. Zum 100. Jahrestag seines Marathonrekords und im Gedenkjahr 2025 wollen wir dies gemeinsam ins Bewusstsein bringen. Daraus entsteht eine Verantwortung dafür, wie wir heute und in Zukunft unser Miteinander gestalten“, sagt Willi Mernyi, Vorsitzender des Mauthausen Komitees Österreich.


Erstmals 2:59 – Österreichischer Marathonrekord vor 100 Jahren

„Niemand hätte daran geglaubt“, schrieben die „Wiener Neuesten Nachrichten“ am Tag nach Otto Pensls Marathonsieg, „dass es in Österreich einen Menschen gibt, der die Strecke von 42,2 Kilometern unter drei Stunden zurücklegen könnte.“ Pensl, damals 29, Mechaniker in den „Steyr-Werken“, vielseitiger Sportler, Turner, Alpinist, Bergretter, Skifahrer und Skispringer, hatte in diesem Rennen den österreichischen Meistertitel gewonnen und mit der 2:59-Zeit eine Premiere geschafft. International waren andere schon schneller gewesen, aber er ist der Barriere-Brecher, der Vorläufer für alle Marathon-Begeisterten in Österreich, die sich an der 3-Stunden-Marke versuchen.

1924 hatte er ebenfalls in Wien bei seinen ersten Marathon-Meisterschaften mit weniger Erfahrung den fünften Platz belegt. Diesmal wusste er besser, was ihn erwarten würde und dass er zurückhaltend starten müsste. Als Training soll er einige Male von Steyr nach Linz gelaufen sein. Für die Anreise zu den Meisterschaften schwang er sich aufs Rad und fuhr die rund 200 Kilometer von seiner Heimatstadt bis zum Start.

„Viel zu schnell“ nach Untertullnerbach

Die Strecke seines Rekordlaufs führte von Wien-Dornbach nach Untertullnerbach in Niederösterreich und wieder zurück. Kein superflaches Gelände. Start und Ziel befanden sich am Sportclubplatz, wo derzeit an der Rundum-Erneuerung der legendären Fußballstätte gearbeitet wird. Der Marathon führte von Dornbach Richtung Süden ins Wiental, weiter nach Westen durch die Auhofstraße über Mariabrunn und Purkersdorf bis Untertullnerbach. Hier wurde gewendet und es ging auf gleicher Strecke wieder zurück.

Den Wendepunkt bei der Halbmarathondistanz erreichte der favorisierte Läufer Kühnel nach 1:20 Stunden, „also viel zu schnell“, wie das Sport-Tagblatt in seinem Bericht anmerkte. Pensl folgte mit etwas Abstand in 1:22 Stunden. Schritt für Schritt konnte er den Abstand verringern und sich in Purkersdorf nach ca. 26 Kilometern an die Spitze setzen. Später hieß es: „Er ist sich seines Erfolges schon ziemlich sicher. Bergauf geht er, um sich nicht auszupumpen.“

Hunderte klatschten, glänzend organisiert

Der Zieleinlauf von Pensl im Sportclub-Stadion mit fast drei Minuten Vorsprung war triumphal. „Laut klatschten hunderte“, als er „mit dem Lorbeerkranz geschmückt, auf die Schultern hochgehoben wurde“, berichtete das Sport-Tagblatt. 25 von 37 Startern kamen ins Ziel. „Da die Konkurrenz vom Wetter nicht begünstigt war, und auch der Zustand der Straßen infolge des niedergegangenen Regens kein idealer, sind die guten Leistungen um so höher einzuschätzen“, kommentierten die Wiener Neuesten Nachrichten.

Der Lauf wurde in den Medien als „glänzend organisiert“ bezeichnet. Fahrradbegleiter sorgten für Orientierung und Sicherheit. „Sogar eine telephonische Verbindung mit einzelnen Punkten der Strecke war vorhanden“, um Zwischenzeiten durchzugeben. Veranstalter des Rennens war das damals sehr aktive „Marathonkomitee“. Diese prominent besetzte Runde, in der u.a. Laufpionier Mauricio Diego Albala aktiv war, führte ab 1924 jährlich einen Marathonlauf in Österreich durch. Davor haben Rennen über diese olympische Langdistanz in Österreich nur sporadisch stattgefunden, oft mit mehreren Jahren Pause zwischen den Veranstaltungen.

Nach seinem Marathonsieg fuhr Otto Pensl auf dem Fahrrad wieder zurück nach Steyr, denn er hatte wieder in der Arbeit zu erscheinen.

Überzeugungen, Mut und Zuversicht

Seine Lebensgeschichte beinhaltet noch mehr als das Durchbrechen einer sportlichen Grenze. Sie beinhaltet auch das Durchbrechen von menschlichen Grenzen im negativsten Sinn.

Otto Pensl war über seine vielfältigen sportlichen Aktivitäten hinaus ein politischer Mensch. Ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis, der zu seinen Überzeugungen stand. Er engagierte sich als Mitglied der Sozialdemokraten, später bei den Kommunisten. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitlerdeutschland wurde er 1939 aus politischen Gründen von seiner Arbeitsstelle in den Steyr-Werken entlassen.

Von Reparaturarbeiten ins Gefängnis

Er fand neue Arbeit bei einer Installationsfirma. In einem zwanglosen Gespräch bei Reparaturarbeiten, als im eiskalten Winter 1941/42 viele Wasserleitungen in Wohnhäusern eingefroren waren, äußerte er sich kritisch über die Nationalsozialisten und stellte die offiziell positiven Nachrichten über den Kriegsverlauf in Frage. Er wurde angeklagt und erhielt ein Jahr Gefängnis „wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz“. 1944 holte ihn die Gestapo erneut ab. Im Zuge einer Verhaftungswelle gegen Kommunisten wurde er ins KZ Mauthausen eingeliefert.

Mut und Zuversicht bis zuletzt

„Otto Pensl, ‚der zähe Sportler‘, so wird aus der Zeit in Mauthausen über ihn berichtet, ‚half seinen Kameraden, wo es nur möglich war und wie er es stets gewohnt war. Er strahlte Mut und Zuversicht aus. Nur mehr wenige Tage, und wir sind frei, war sein Ausspruch im Frühjahr 1945.‘"

Der sichtbar werdende Zusammenbruch des Nazi-Regimes entfachte bei den Machthabern oft grausamen Fanatismus. Eine Woche vor der Befreiung des KZ Mauthausen durch die US-Armee ordnete NS-Gauleiter August Eigruber an, alle oberösterreichischen Kommunisten im Lager zu töten. Otto Pensl wurde am 28. April 1945 gemeinsam mit 42 weiteren Menschen in der Gaskammer ermordet.

Erinnerungen an Otto Pensl

Die Erinnerung an Otto Pensl und seine Geschichte lebt weiter. Heute ist in Steyr eine Straße nach ihm benannt. 2023 führte das Mauthausen Komitee Oberösterreich gemeinsam mit dem Leichtathletikverein LAC Amateure Steyr einen Gedenklauf durch. Dabei wurde eine Stele vor der Berufsschule Steyr in Münichholz enthüllt. Bei diesem Anlass übergaben die Angehörigen von Otto Pensl dessen Siegesmedaille von 1925 an das Mauthausen Komitee Steyr, welches sich vor Ort für die Erinnerung an die NS-Zeit einsetzt. Die Medaille wird heute im Stadtarchiv Steyr bewahrt.

In älteren Lauf- und Leichtathletik-Rückblicken ist, wenn überhaupt, manchmal in heiterem Ton von ihm die Rede, als erstem Sub-3 Läufer, der von Steyr nach Wien zum Marathon und wieder zurück geradelt ist. Er hat es sich aber verdient, dass die österreichische Laufszene seine gesamte Lebensgeschichte in Erinnerung behält.

 

Quellen:

Christian Angerer/Maria Ecker: Nationalsozialismus in Oberösterreich. Opfer - Täter - Gegner. Innsbruck u.a. 2014, S. 255-256.

Christian Angerer: Otto Pensl 1895-1945 - “Raum der Namen”

Wolfgang Braun: Dieser Marathonsieger war kein Mitläufer. In: Oberösterreichische Nachrichten, 12. April 2025, Magazin, Seite 3.

Martin Hagmayr, Doris Hörmann: Siegesmedaille des Marathons für Otto Pensl, 1925 

Steyrer Zeitung, 1.12.1988, In Erinnerung an Otto Pensl. Ein Opfer der Vernichtungsmaschinerie.

Otto Pensl auf der Website “Steyrer Pioniere”

Historische Zeitungsberichte aus dem ANNO Online-Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek:

- Wiener Neueste Nachrichten, 28.09.1925, Seite 10: “Der österreichische Marathonlauf”
- Sport-Tagblatt, 28.09.1925, Seite 7: "'Sturm' Marathonsieger pro 1925!"
- Sport-Tagblatt, 29.09.1925, Seite 4-5: “Momentaufnahmen vom Marathonlauf”
- Illustriertes Sportblatt, 03.10.1925, Seiten 5 und 7: “Der österreichische Marathonlauf 1925” und “Zweiundvierzig Kilometer auf der Landstraße”

Textgrundlage:
Der zweite Teil des Texts ist eine aktualisierte und erweitere Version des Artikels „Erstmals 2:59“, Andreas Maier, Laufmagazin RunUp, Herbst 2019.


VCM News / Andreas Maier, 25.09.2025